Persönliche Stellungnahme von Karl Sigmund zum Artikel: KARL MAYRHOFER (1899-1969) von Wolfgang Wertz in den IMN Nr. 182 (Dez. 1999), S.17-21.

Wenn mein Kollege Wertz glaubt, daß die wissenschaftlichen Leistungen seines Lehrers Karl Mayrhofer eine Festschrift verdienen, so ist das seine Sache. Aber wenn die IMN, das Organ der Österreichischen Mathematischen Gesellschaft, seinen Artikel in dieser Form abdrucken, ruft das meinen entschiedenen Widerspruch hervor. Wenn ich vor Erscheinen davon gewusst hätte, so wäre ich als Vorsitzender zurückgetreten. Jetzt ist es dafür zu spät. Ich muß aber dazu Stellung nehmen, auch wenn das bedeutet, auf Kollisionskurs zu gehen mit dem Autor, Wolfgang Wertz, und dem verantwortlichen Herausgeber, Peter Flor, die ich beide übrigens seit 35 Jahren gut kenne.

Ich habe mich immer verwehrt gegen das Cliche von einem Österreich, das es mit den dunklen Seiten seiner Vergangenheit nicht so ernst nimmt. Hier aber findet es leider Bestätigung. Es wird nirgendwo klar gesagt, daß Karl Mayrhofer bereits vor dem Anschluß illegaler Nationalsozialist war. In der Biographie wird lediglich schamhaft erwähnt, daß nach 1945 eine harte Zeit für ihn anbrach, und er "aus formalen Gründen" durch das Verbotsgesetz zehn Jahre lang seinen Beruf als Universitätsprofessor nicht ausüben konnte. Gelernte Österreicher wissen natürlich, was das heißt (wenngleich ich z.B. mir unter "formalen Gründen" wenig vorstellen kann: es wird ja nicht um Beistrichfehler gehen). Die Internationalen Mathematischen Nachrichten werden aber nicht nur von gelernten Österreichern gelesen. Im Ausland schlägt uns derzeit eine Welle des Mißtrauens entgegen. Jede Geschichtsaufbereitung wird kritisch geprüft. Die Mayrhofer-Festschrift kommt da gerade zurecht, um grassierende Vorurteile zu bekräftigen.

Natürlich ist der Artikel durch den 100. Geburtstag Mayrhofers motiviert und hat nichts mit der derzeitigen politischen Entwicklung zu tun. Aber durch diese Entwicklung wird er besonders schädlich für unseren Ruf. Die IMN sollen internationale wissenschaftliche Kontakte fördern und können auch in Paris, Princeton und Jerusalem gelesen werden -- und übrigens auch in Berlin. Die schonungslose Offenheit, mit der sich die DMV ihrer eigenen Vergangenheit gestellt hat, etwa beim Internationalen Mathematikerkongress 1998, kontrastiert exemplarisch mit der "behutsamen Ausleuchtung" des Wertzschen Artikels.

Zahlreiche österreichische Mathematiker wurden durch das nationalsozialistische Regime um ihre berufliche Existenz gebracht, manche (wie etwa Tauber) auch um ihr Leben. 1937, als Mayrhofer Parteigenosse wurde, konnte er nichts vom Horror der Vernichtungslager ahnen, aber er von Bücherverbrennungen und den Nürnberger Rassegesetzen muß er gewußt haben. In diesem Licht wirkt der Nekrolog, den er auf Hans Hahn schrieb, nicht wie jener Ausbund an Zivilcourage, als welchen ihn Wertz darstellt. Viele Österreicher -- so etwa, um nur in Mayrhofers Wirkungsstätte in der Strudlhofgasse zu bleiben, Menger, Gödel, Helly und jüngere Kollegen wie Taussky, Wald und Alt -- sie alle suchten damals verzweifelt nach Möglichkeiten, das Land zu verlassen, um sich und ihre Familien zu retten. Mayrhofer aber reiste nach München, um einer Bewegung beizutreten, die sich ihrer rassistischen und geistesfeindlichen Absichten lauthals rühmte.

Ich bin mir wohl bewußt, der "Gnade der späten Geburt" teilhaftig zu sein. Ich bin mir auch keineswegs sicher, ob ich in dieser schrecklichen Zeit die Kraft gehabt hätte, richtig zu handeln. Aber es gab ein richtig und ein falsch! Mayrhofer handelte falsch, wie so viele andere auch, und wer über ihn schreibt, soll das nicht verschweigen oder -- was besonders peinlich wirkt -- durch ein persönliches Leumundszeugnis nachbessern. Ich kann allerdings bestätigen -- schließlich saß ich damals neben Wolfgang Wertz im großen Hörsaal -- daß Mayrhofer nach der Aufhebung des Berufsverbots nicht über Politik und Vergangenheit in seinen Vorlesungen sprach. Ich bezweifle, ob dies für jene Mathematiker, die das NS-Regime verfolgt und vertrieben hat, einen großen Trost darstellt.

Die OEMG ist kein politischer Verein, aber hier wäre jedes Verschweigen, Beschönigen oder achselzuckende Hinnehmen auch eine politische Aussage, und zwar eine, die ich nicht akzeptieren kann. Aber vielleicht bewirkt der Anlaßfall eine offene und ausführliche Auseinandersetzung mit der Geschichte der österreichischen Mathematik in dieser dunklen Zeit. Nichts soll hier ausgelassen werden -- vom Wirken des Naziemporkömmlings Anton Huber als Vorstand in der Strudlhofgasse bis hin zum Tod des greisen Alfred Tauber in Theresienstadt.


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